Zwischen Pamir und Wüste

Fahrradtestfahrt durch die mittelasiatischen Sowjetrepubliken Tadshikistan und Usbekistan

Fahrradtestfahrt durch die mittelasiatischen Sowjetrepubliken Tadshikistan und Usbekistan

Juni/Juli 86

Autor: Jens-Ulrich Groß / Lutz Gebhardt

Unter welchen Bedingungen wird die technische Belastungsgrenze des Fahrrades erreicht ?

Welche Bauteile oder Baugruppen gehen dabei zuerst zu Bruch ?

Wo liegt unsere eigene konditionelle und physische Belastungsgrenze ?

Um Antwort auf solche und ähnliche Fragen zu finden, erklärten wir uns 1986 bereit, im Auftrag des MIFA-Werkes Sangerhausen, dem größter Fahrradproduzent der DDR, Fahrräder unter extremen geographischen und klimatischen Bedingungen zu testen. Höhepunkte der Zusammenarbeit zwischen unserem ehrenamtlichen Kollektiv und den MIFA-Werkern sind die seit 1980 stattfindenden Testfahrten. Kaukasus, Mittelasien und Mongolische Volksrepublik waren erfolgreiche Bewehrungsfelder für die sangerhäuser Fahrradtechnik.

In diesem Jahr sollten nun weiterentwickelte Sporträder des Modells 204 in den mittelasiatischen Regionen der Sowjetunion eine der letzten praktischen Bewährungsproben bestehen, ehe sie 1987 in Serie gefertigt und im Handel erhältlich sein werden.

Leiter der diesjährigen Fahrradexpedition war Jens-Ulrich Groß, Bauingenieur aus Karl-Marx-Stadt. Seiner Frau Cornelia oblag als Zahnärztin die medizinische Betreuung. Der Elektroingenieur Dr. Lutz Gebhardt und der Erosivtechniker Andreas Otto waren für das Fahrtenbuch und als Mechaniker für die Pflege und Wartung der Fahrradtechnik verantwortlich.

Im folgenden berichten Dr. Lutz Gebhardt und Jens-Ulrich Groß von Verlauf, Erlebnissen und Eindrücken ihrer Fahrt zwischen Pamir und Wüste.

Zwischenlandung in Moskau

Freitag, der 13. Juni. Keiner unseres 4-köpfigen Teams ist abergläubisch, und so sind wir voller Optimismus, als wir unsere Fahrräder aus dem modernen Abfertigungsgebäude des Flugplatzes Moskau- Scheremedjewo heraus schieben. Wir bepacken unsere Drahtesel für die 80 Kilometer lange Fahrt durch die sowjetische Hauptstadt zum Inlandflughafen Domodjedjewo. Es dauert ein Weilchen, ehe wir jeder ein paar Gepäcktaschen, einen Rucksack und auf dem vorderen Gepäckträger Zelt und Schlafsack befestigt haben, denn noch sind diese Handgriffe ungewohnt.

Als wir dann losrollen, muß sich jeder an die zusätzliche Gepäcklast vor allem auf dem vorderen Gepäckträger gewöhnen. Nach 30 Kilometern zügiger Fahrt im turbulenten Moskauer Freitagnachmittagverkehr stehen wir auf dem Roten Platz. Die Zeit reicht jedoch nur für einen kurzen Aufenthalt, bald geht es weiter.

Stunden später sitzen wir in einer TU 154. Helle Schimmer kündigen am östlichen Horizont den neuen Tag an. Wir sind hundemüde, denn seit über 24 Stunden sind wir unterwegs, ohne ein Auge zugemacht zu haben. Für die sowjetischen Passagiere ist das Fliegen alltäglich, sie schlafen fast ohne Ausnahme, uns aber läßt das Reisefieber nicht zur Ruhe kommen.

Start in Duschanbe

Nur noch wenige Flugminuten trennen uns von Duschanbe, dem Ausgangspunkt der 5. MIFA- Testfahrt. Nachdem wir lange Zeit über die karge Wüstenlandschaften der Kysylkum flogen, ragen nun unter uns die weißen Gipfel und tief verschneiten Hänge des Seravschan- und Hissargebirges auf, die erahnen lassen, was uns in den nächsten drei Wochen erwarten wird.

Die mittelasiatische Metropole empfängt uns entgegen unsrer Erwartungen mit erfrischender Kühle. Es ist ja erst 8. oo Uhr morgens, als wir uns von den freundlichen Stewardessen auf der Gangway verabschieden. Gegen Mittag nach der Erledigung unserer Formalitäten verlassen wir Duschanbe in Richtung Osten. Auf glatter Straße dahinradelnd bekommen wir den ersten Eindruck vom sowjetischen Orient. Turbantragende Männer und Frauen in seidenen, bunten Pluderhosen zeugen von erhaltenen Bräuchen. Stände am Straßenrand, gefüllt mit geputztem Obst und Gemüse laden zum Halt ein.

Der erste Streckenabschnitt führt von Duschanbe aus größtenteils durch das Wachsch- und Surchobtal in die kleine Stadt Dshirgatal am Rande des Pamirs. Die ersten Fahrradkilometer in Mittelasien legen wir auf einer 4-spurigen ausgebauten Asphaltstraße zurück, auf der wir Duschanbe schnell den Rücken kehren. Rechts und links ist die Straße von hohen Lößbergen gesäumt, die an manchen Stellen von der Straße regelrecht durchschnitten werden. Im Hintergrund, verborgen in einem Dunstschleier, kann man die ersten Gipfel mit Schneeresten erkennen, die eine Vielzahl von Bächen und Flüssen speisen. Dieses Wasser wird mittels eines verzweigten Netzes von Aryks, den landestypischen Bewässerungskanälen, in die Ebene geführt und ist dort in Verbindung mit den fruchtbaren Lößböden der Garant für reiche Ernten.

Tschaj pjom ?

Nach 20 Kilometern suchen wir uns ein schattiges Plätzchen. Die Mittagszeit und mit ihr eine für uns ungewohnte Hitze war gekommen. Das Thermometer zeigt 37 Grad im Schatten. Erschöpft lassen wir uns nieder, um uns von Reisestrapazen und ungewohntem Klima zu erholen. Als wir spät nachmittags wieder aufbrechen, werden wir, wie später noch so oft, durch die Gastfreundschaft der Tadshiken aufgehalten. Ein bärtiger Moslem tritt näher, reicht uns Männern die Hand. Conny, unser einziger weiblichen Mitstreiter, zu beachten, verbietet ihm sein Glaube.

"Tschaj pjom ? - laßt uns Tee trinken ?". Wir sind neugierig und suchen den Kontakt, bejahen natürlich. So sitzen wir kurze Zeit später im Schneidersitz rund um die dampfende Teekanne. Auch Conny genießt den aromatischen grünen Tee, weil sich bei unserem Tadshiken der Kampf zwischen alter Sitte und Gastfreundschaft für die Frau aus fremden Lande entschieden hatte.

Als wir später aufbrechen wollen, werden wir zum Übernachten eingeladen. Tagespensum erfüllen oder Gastfreundschaft genießen ?. Wir versprechen, auf der Rückfahrt wieder vorbeizukommen, so ist den "zwei Seelen in unserer Brust " beiden Genüge getan.

Ungewohntes Streckenprofil

Das Gelände wird immer bergiger und die Anstiege zwingen uns so ein manches Mal aus dem Sattel, bevor wir die mehr als 1000 Meter höhergelegene Stadt Obi Garm erreichen. Die berühmten "heißen Quellen", die dem Ort seinen Namen gaben , finden wir nicht, dafür öffnet der Himmel seine Schleusen und wir erleben den ersten von zwei Regengüssen, die uns während unserer Reise beschert werden. Der Gewitterguß geht in einen Nieselregen über, der uns wieder auf den Rädern sieht. Die Reifen surren auf dem nassen Asphalt eine neue Melodie zu einer 9 Kilometer langen Schußfahrt durch ein schluchtenartiges Tal.

Zwischen Pamir und südlichem Tienschan

Die Schußfahrt endet am Ufer des Wachschflußes. Tief eingegraben hat er sich in die grüne Landschaft, die sich an der Grenzlinie zweier Gebirgssysysteme, dem Tienschangebirge und dem Pamirgebirge zwischen den Bergen spannt. Die Bewegung der Pamirgebirgsscholle auf die Scholle des Tienschans - immerhin 5 cm im Jahr - ist die Ursache der Erdbebenaktivitäten in dieser Region. Bis zu 1000 Erschütterungen werden jährlich registriert, die meisten allerdings sind nur von empfindlichen Meßgeräten wahrzunehmen, der Mensch spürt davon nur wenige.

50 Meter fast senkrecht unter uns tobt die braune Gischt des Wachschs, der durch den Regenguß angeschwollen ist. Viele Kilometer flußabwärts wird das Wasser des Flußes vom bekannten Nurekstaudamm gebannt und für die Energiegewinnung genutzt. Unser Blick fällt nun auch auf die Baustelle des neün Energiegiganten Ragun, von dem man heute schon weiß , daß er seinen älteren Bruder Nurek an Größe und Kapazität übertreffen wird.

Berg- und Talfahrt

Ein gemäßigtes Streckenprofil finden wir im Wachschtal allerdings ebenfalls nicht. So haben wir nun die gesuchten extremen Bedingungen für eine Testfahrt. In einem pausenlosen Auf und Ab windet sich die Straße durch die Landschaft. An vielen Stellen verengt sich das Tal so sehr, daß darin nur der reißende Gebirgsfluß Platz findet. Hier windet sich nun die Straße an den Bergflanken empor, um kurz darauf nach dem Engpaß wieder in vielen Kurven auf das vorherige Niveau abzufallen. Diese Strecke erweist sich sowohl für die Fahrräder als auch für uns Fahrer als ein echter Härtetest. Wenn im Frühjahr die Gebirgsbäche das Schmelz- und Regenwasser nicht mehr fassen können, stürzt das Wasser in breiten Bändern die Hänge hinab und überdeckt auf seinem Weg die Straße in breiter Front mit einer meterhohen Geröllschicht. Durch Straßenarbeiter werden solche Abschnitte zwar schnell planiert, aber das Asphaltband verwandelt sich hier in eine für Fahrräder schwierig zu befahrene Schotterstrecke. Der Staub, der an solchen Stellen bei Trockenheit von Lkws reichlich aufgewirbelt wird, erschwert uns zusätzlich zu den sengenden Sonnenstrahlen jede körperliche Bewegung so, daß wir auf solchen Abschnitten nur langsam vorankommen.

Im Tal des Surchob

Wir haben den Zusammenfluß von Surchob und Obichongu passiert und den Pamirtrakt, der südlich durch das Gebirge über bis zu 4600 Meter hohe Pässe führt, verlassen, als wir die kleine Ortschaft Chait erreichen. Uns fällt ein Obelisk auf , der in der grellen Sonne weiß leuchtet. Er erinnert an eine tragische Geschichte, von der wir schon zu Hause gelesen hatten:

Dem 10.Juli 1949, dem Tag der Katastrophe, waren regnerische Tage vorausgegangen. Die Erde war stark durchfeuchtet. Hinzu kam ein Erdbeben geringer Stärke, wodurch sich von einem Berg eine riesige Felswand löste und hinab ins Tal in einen natürlich angestauten See stürzte. Stein, Erde und Wasser vermischten sich zu einer halbflüssigen Masse, die mit hoher Geschwindigkeit durchs Tal floß und alles mitriß, was sich in den Weg stellte. Diese Mure bedeckte die Ortschaft Chait und einige andere Dörfer des Tales mit einer meterhohen Schlammschicht. Jegliches Leben erlosch innerhalb weniger Sekunden. 18000 Tote waren zu beklagen.

Diesen Toten zum Gedenken schuf der Bildhauer Kirej Dshumogarin den in Chait stehenden Obelisk.

Rückflug nach Duschanbe

Nach 350 anstrengenden Kilometern ist Dshirgatal, das erste Ziel unserer Testfahrt, erreicht. Eingebettet in weiß gekrönte Bergriesen liegt diese Stadt am Fuße der dem Pamir zugehörigen Gebirgskette "Peter I. ". Zum Pik Kommunismus, dem höchsten Gipfel der Sowjetunion, sind es nur etwas mehr als 100 km Luftlinie. Den Blick darauf verwehren uns allerdings die vorgelagerten Bergketten.

Geprägt wird die kleine Ortschaft Dshirgatal, Ausgangspunkt vieler alpinen Pamirexpeditionen, von dem Grün der unzähligen Pappeln, die die Straßenränder säumen und so den ersehnten Schatten spenden. Hier, wo der Fluß Petoukul sein Wasser aus dem Alaigebirge in den Surchob ergießt, haben die Berge viel Platz gelassen, so daß neben den großen Feldern auch beqüm ein kleiner Flugplatz errichtet werden konnte.

Nach halbtägigem Warten konnten wir dann den Piloten einer AN 2 den augenscheinlichen Beweis erbringen, daß man in diesem kleinen 12-sitzigen Flugzeug neben 9 Passagieren auch noch 4 Fahrräder und 100 Kilogramm Gepäck unterbringen kann. Bald darauf befindet sich unsere Maschine in der Luft. Im Zeitraffertempo gleitet nun die Straße, die fünf Tage unser Zuhause war, unter uns hinweg. Diese Perspektive gewährt auch noch einen Blick auf den tiefverschneiten Pamir, dem "Dach der Welt". Nach 75 Minuten erreichen wir wieder Duschanbe.

Bei tadshikischen Freunden zu Gast

Bevor wir zu unserem zweiten Abschnitt aufbrechen, lösen wir ein Versprechen ein. Wir besuchen unseren tadshikischen Freund, der uns gleich zu Anfang unserer Tour zum Übernachten eingeladen hatte.

Die 20 Kilometer von Duschanbe sind schnell zurückgelegt und so sitzen wir nun im Haus unseres Gastgebers auf bunten Matten und Kissen im Schneidersitz um ein Tuch herum, auf dem uns, den Tisch ersetzend, zunächst Tee in die bunten Pialen eingeschenkt wird. Eine Seite des länglichen Raumes ist durch eine Fensterfront begrenzt. Im angenehmen Kontrast dazu ist die gegenüberliegende Wand mit farbig gemusterten orientalischen Teppichen bedeckt.

Bald werden von unserem Gastgeber zwei riesige Platten mit Plow serviert. Plow ist ein Reisgericht, das mit Möhrenstreifen und Rind- oder Hammelfleisch zubereitet wird. Dazu werden rohe, leicht angesäuerte Zwiebelringe gereicht. Plow ißt man ohne Besteck ! Mit kleinen Stückchen Lepjoschak - tadshikischem Fladenbrot - formt man auf dem Rand der Platten zwischen Daumen und Finger einen kleinen Kloß, den man so in den Mund schiebt.

Es wird an diesem Abend sehr spät, ehe wir uns nach dem reichlichem Mal zur Ruhe legen. Früh am nächsten Morgen verlassen wir dann unseren neu gewonnenen Freund, dessen Gastfreundschaft uns noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Durch die Warsobschlucht

Stadtbesichtigung in Duschanbe, Bummel über den orientalischen Basar, Karten schreiben - dann geht es nachmittags los zur zweiten Etappe unserer Fahrt. In nördlicher Richtung, wo es das Hissargebirge zu überwinden gilt, um das Endziel unserer Reise, die Städte des sowjetischen Orients Samarkand und Buchara zu erreichen, verlassen wir Duschanbe. Zunächst fahren wir durch die Warsobschlucht, beliebtes Naherholungsgebiet der Bevölkerung Duschanbes. Walnuß-, Platanen- und Ahornbäume spenden überall Schatten und sind neben anderen Pflanzen Basis für eine intensive Bienenwirtschaft, wovon auch der oft am Straßenrand angebotenen Honig zeugt. Rechts und links ragen die Berge steil empor, während der tosende und schäumende Gebirgsfluß unter dumpfen Grollen große Steine auf seinem Weg mitreißt. Er trägt seinen Namen zurecht: Warsob, was im Tadshikischen "Stürmisches Wasser " bedeutet.

Stetig steigt die Straße dem schwersten Teil unserer Fahrt, dem Ansobpaß entgegen, doch noch geht es allmählich dahin. 60 km nach Duschanbe ist der Bergkischlak Siddi erreicht. Unser Blick fällt auf den Hauptkamm des Hissargebirges. An seiner über 3000 Meter hohen südlichen Flanke sehen wir plötzlich, was uns bevorsteht:In langen Serpentinen führt die Straße bergauf.

An diesem Tag nehmen wir den Paß nicht mehr in Angriff. Am Rande des Dorfes schlagen wir unsere Zelte auf. Im Nu sind wir von einer Schar Kinder umringt. Es dauert nicht lange, und wir bekommen sie wieder zu spüren: Die Gastfreundschaft der Tadshiken. Tee, Brot und Joghurt werden uns gereicht, mehr als unsere etwas angeschlagenen Mägen vertragen können .

Die Zeit bis zur Dämmerung nutzen wir zu einem Spaziergang durch das urwüchsige Dorf. Zwei Stunden dauert unser Rundgang, viermal werden wir zum Tee eingeladen. Beim letzten Tee können wir uns zusätzlich noch mit einer wohlschmeckenden Suppe, gewürzt mit allerlei frischem Gemüse, Energiereserven für den kommenden Tag anlegen.

Über den Ansobpaß

Der nächste Morgen sieht uns noch vor der Dämmerung aufstehen. Wir wollen die Kühle des frühen Morgens nutzen.

Über 18 Kilometer windet sich die unbefestigte Paßstraße aufwärts. Bei 10 % mittlerer Steigung sind über 1500 Höhenmeter zu überwinden. Den größten Teil der Strecke müssen wir schieben, Steigung und schlechte Straßenverhältnisse lassen ein Fahren auf die Dauer nicht zu. Nur Lutz, unser Eisernster schafft es,die halbe Strecke im Fahrradsattel hinauf zu strampeln.

Meter für Meter kämpfen wir uns nach oben. Bald sehen wir das Dorf Siddi weit unter uns liegen. Gradmesser für die erreichte Höhe sind die schneebedeckten Gipfel uns gegenüber, in deren Regionen wir bald gelangen. Zwei bis drei Meter hohe Schneewände zeugen von der Höhe, die wir gegen 11 Uhr erreicht haben. Die Sonne prasselt bereits mit voller Kraft auf uns herab, bringt uns arg ins Schwitzen. Im Schatten jedoch ist es empfindlich kühl.

Nach 5 Stunden unermüdlichen Kampfes stehen wir dann glücklich oben. Der Paß ist erklommen. Mit unseren Fahrrädern stehen wir 3372 Meter über dem Meeresspiegel. Etwas benommen sind wir schon von der Anstrengung in der dünnen, ungewohnten Höhenluft. Belohnt wird unsere Mühe mit dem Blick auf das Gebirgspanorama. Im Norden sehen wir die gewaltige Seravschankette. In unmittelbarer Nähe überragen uns schneebedeckte 4000er. Sie reizen uns, doch dafür ist unsere Ausrüstung nicht vorgesehen. Wir vertrösten uns auf einen bevorstehenden Ausflug in die Fanberge.

Bei der anschließenden Talfahrt müssen unsere Felgenbremsen, aber auch unsere Hände, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Auch die nördliche Seite der Paßstraße ist unbefestigt und läßt nicht mehr als 20 km/h zu. Nach zwei Stunden geruhsamer Abfahrt, mit Pausen zum Hände massieren und Landschaft bewundern, erreichen wir wieder normale Höhen.

Zwischen Hissar und Seravschan

Das wilromantische Jagnobtal empfängt uns mit Regen. Tief im Tal ziehen die Wolken dahin und entziehen die Gipfel der beidseitig aufragenden Berge unseren Blicken. Die Vegetation scheint trostlos. Statt der gewohnten, mit Gras bewachsenen Gebirgshänge begleiten uns jetzt schroffe Felswände. Häufig ragen diese einige Hundert Meter fast senkrecht unmittelbar neben der Straße empor und geben der Landschaft mit ihren rotbraunen bis schwarzbraunen Farbtönen ein interessantes Aussehen.

Iskander Kul - Perle Tadshikistans

Ein letztes Mal lenken wir unsere Fahrräder für länger bergan, um den in 2250 Meter Höhe gelegenen Iskander Kul zu erreichen. Dieser Gebirgssee, um den sich Legenden von Alexander, den Großen ranken, der dem See seinen Namen gab, wird nicht zu unrecht als Perle Tadshikistans bezeichnet. In seinem für ihn typisch grünblauen Wasser spiegeln sich die ihn umgebenden 4000er schneebedeckten Gipfel der Fanberge. Das glasklare Wasser lädt zu einem Bad ein, doch schon der erste Versuch macht uns die Undurchführbarkeit unseres Vorhabens deutlich. Die Kälte des Wassers läßt einem förmlich das Blut in den Adern erstarren.

Zu Fuß durch die Fanberge

Bevor wir wieder in das Seravschantal zurückkehren, gönnen wir uns eine Radelpause. Zwei Tage streifen wir durch die Fanberge. Über steile Pfade und schmale Stege steigen wir Meter um Meter empor. Nach zwei Stunden finden wir uns auf einer saftigen Gebirgswiese plötzlich von einer Schar Kindern umringt. Bald darauf sehen wir auch einen Gebirgskischlak, der nur in den Sommermonaten bewohnt ist. Man versorgt uns wiedermal mit ausreichend Joghurt, mehr als unsere Mägen fassen können, und so füllen wir den Rest in unsere Trinkflaschen. Es ist ein erfrischendes Getränk, wir können uns nicht bremsen beim Genuß dieser kühlen, säuerlichen Milch. Die Wirkung stellt sich Stunden später ein, als die Gierigsten nach Kohletabletten verlangen.

Am frühen Nachmittag erreichen wir eine günstige Stelle zum Übernachten. Wir stellen unser Gepäck ab, erklimmen noch einen Seitenkamm. Die Sonne steht schon tief, als wir den höchsten Punkt unserer Wanderung erreicht haben. Vor uns ragt das breite, weiße Haupt der "Großen Gansa" majestätisch in den Himmel, während zwei, drei Meter hinter uns die Felsen viele Hundert Meter ins Tal des Iskander Darja abwärts fallen. Immer wieder gleitet unser Blick in das weite Rund der bezaubernden Schönheit der schneebedeckten Gipfel. Nur mit Mühe können wir uns davon lösen, doch die untergehende Sonne mahnt zum Abstieg.

Durchs Seravschantal nach Samarkand

Die anstrengenden Bergfahrten sind vorüber. Die Barriere der Seravschan-Gebirgskette können wir leicht durchqueren. Hier hat uns der Fan-Darja-Fluß ein Stück Arbeit abgenommen, da er mit seiner Wasserkraft eine tiefe und enge Schlucht durch das Gebirge gebahnt hat. Immer wieder rücken die zu beiden Seiten hoch aufsteigenden Wände beängstigend nah zusammen. Es erscheint unvorstellbar, daß die Straße an solchen Stellen noch weitergehen kann. Aber bereits die nächste Kurve gibt den Blick auf ein weiteres Stück Straße frei, wo die Felsen mitunter balkonartig in die Schlucht hinein ragen. Nach 20 Kilometern weitet sich das Tal. Die Berge treten auseinander und wir holpern auf einer der typischen holzbeplankten, einspurigen Hängebrücken über den weit unter uns tosenden Seravschan nach Aini hinein. Diese Rayonstadt ist vor allem durch ihr Minarett berühmt, das als das älteste erhaltene Tadshikistans gilt.

Unser weiterer Weg führt nach Westen, immer im Tal des zu dieser Jahreßeit grauen, sedimentreichen Seravschanflusses entlang. Das hoch mit fruchtbaren Lößböden aufgefülte Tal wird immer breiter, und die von den Bergen herabfließenden Flüsse und Bäche bieten günstige Voraussetzungen für die intensive landwirtschaftliche Nutzung.

Die zunehmende Länge unserer Tagesetappen und ein gutes Stundenmittel sind Zeichen für den Wechsel des Streckenprofiles. Steiles Bergauf und - ab ist nur noch an Brücken zu bewältigen, wenn die Straße die Uferseite wechselt und wir in das tiefe Cañon hinabfahren müssen, daß sich im Verlauf der Jahrhunderte in den Boden gefressen hat.

Grüner Tee

Mit dem freundlicherem Streckenprofil stellt sich allerdings ein anderer Gegner mit noch stärkeren Kräften als bisher ein: Hitze, Staub und Durst. Wie schon so oft auf unserer Reise ist uns eine Teestube willkommene Raststätte für die heiße Mittagszeit. Erschöpft nehmen wir auf den mit Teppichen bedeckten Tachtas - den bettartigen Holzgestellen im landesüblichen Schneidersitz Platz. Das dichte Blätterwerk alter Platanen spendet den ersehnten Schatten.

Im Schneidersitz um Pialen und eine Kanne Tee sitzend, beginnen wir das feierliche Zeremoniell des Teetrinkens: Teebeutel oder -ei kennt man nicht. Die Blätter des grünen Tees, lose in der Kanne liegend, werden von kochendem Wasser übergossen. Eine Piale, so wird die henkellose Trinkschale genannt, wird halbvoll- und sofort wieder in die Kanne zurückgegossen. Durch das Aufwühlen beim Zurückgießen werden alle Blätter ausgiebig ausgelaugt, saugen sich mit Flüssigkeit voll und sinken dadurch auf den Boden herab. Nach kurzem Warten ist beim nächsten Ausgießen kaum noch ein Teeblatt in der Piale zu finden.

Grüner Tee muß heiß getrunken werden. Deshalb werden vor dem Einschenken alle Pialen mit einem Schluck Tee vorgewärmt, der dann großzügig weggegossen wird. Beim Ausschenken achtet der Gastgeber darauf, daß die Schale nur halb gefüllt wird, denn der Tee soll sich bei langem Trinken nicht abkühlen.

So vergeht rasch ein Stündchen bei Gespräch, Teetrinken und -nachgießen, ehe wir wieder aufbrechen.

Über die Unionsgrenze

Mit Pendshikent erreichen wir erneut traditionträchtiges Gebiet. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts fand man unmittelbar südlich des modernen Pendshikents die Reste dieser alten soghdischen Provinzhauptstadt. Seit 1946 wurde sie in jahrelanger Arbeit ausgegraben. Mit den freigelegten Palästen, Tempeln, Werkstätten und Wohnungen erhielt man erstmalig einen lebendigen Eindruck vorislamischen Lebens in Mittelasien. Am Ende des 8. Jahrhunderts versank diese Stadt nach 300-jähriger Blüte nach langem, heldenmütigen Kampf gegen die islamischen Eroberer in Schutt und Asche, bis sie bald gänzlich vom Lößstaub zugeweht wurde.

Wenige Kilometer hinter Pendshikent erreichen wir die Unionsgrenze zwischen der Tadshikischen und Usbekischen SSR. Freundlich werden wir von den Beamten der Kontrollstelle durchgewinkt.

In Samarkand

Am nächsten Tag erreichen wir sie dann, die von uns mit Spannung erwartete Metropole des sowjetischen Orients Samarkand. Die Stadt, 2500-jährig, schon von Alexander dem Großen unter dem Namen Marakanda erobert, 1220 unter der Bezeichnung Afasiab dem Mongolensturm zum Opfer gefallen, und während der Timuridenzeit zu orientalischer Schönheit gelangt, die heute noch teilweise zu bewundern ist. Die Stadt erblühte unter dem Herrscher Timur (1363-1405),dessen Regierungszeit von grausamen Eroberungßügen geprägt war. Keine andere Stadt sollte sich mit ihrer Schönheit mit dem neuen Samarkand messen können. So entstand ein monumentaler Baustiel, der mit seiner in kräftigen Farben gehaltenen Fassadengestaltung weit in das Land hinein leuchtete und von Ruhm, Macht und Reichtum des Herrschers künden sollte.

Auf geschichtsträchtigem Boden

Wir rollen schon einige Kilometer durch Samarkand, als wir uns plötzlich und unerwartet dem Registan-Ensemble gegenüber sehen. Zum ersten mal erblicken wir nun Bauwerke in ihrer orientalischen Pracht und können ermessen, welchen Eindruck diese Stadt schon vor Jahrhunderten auf ihre Besucher ausübte. Systematisch fahren wir nun die verschiedensten Baudenkmäler der Stadt ab. Wir stehen beeindruckt vor dem Timuridengrabmal Gur Emir,dessen gewaltige Kuppel als die schönste von Mittelasien gilt. Wir streifen durch die schmale Gasse der "Stadt der Toten", dem Mausoleenkomplex Schah-I-Sinda,besuchen das Observatorium des berühmten Astronomen und Mathematikers Ulug Beg sowie die Ruinen des größten Timuridischen Bauwerkes, die Moschee der Biby Chanym.

Obwohl alle diese Gebäude durch die extremen Witterungsbedingungen und die seismische Aktivitäten hohen Beanspruchungen ausgesetzt waren und sind, können wir diese Baudenkmäler meist in ihrer vollen Schönheit bewundern. So sind wir auch Zeugen, daß die Sowjetregierung nicht nur große Mittel in die Erhaltung dieser Kunstwerke investiert, sondern darüber hinaus viele Kleinode der islamischen Kultur aus ihren Ruinen wieder entstehen ließ. Sieht man auf vielen Bildern noch die zerstörten Kuppeln der Tilla-Kari-Medrese und der Biby-Chanym-Moschee, so sehen wir sie schon wieder im strahlenden Schmuck ihrer türkisen Majolik-Kacheln.

Basargewimmel

Gleich neben dieser Moschee befindet sich der Basar, der schon Ende Juni ein reichhaltiges Angebot aufwies: Tomaten, Aprikosen, Äpfel, Weintrauben, Pfirsiche,.... An vielen Ständen ruft man uns das "pa probui !" zu und hält uns Früchte hin, damit wir uns von der vorzüglichen Qualität überzeugen können. Man kostet,aber niemanden wird verübelt, wenn er weiter geht, ohne zu kaufen. Neben Obst und Gemüse werden Lebensmittel, Textilien und verschiedene Industriewaren angeboten. Es herrscht stets ein buntes Gewimmel von Verkäufern und Käufern, die in ihrer tradtionellen Kleidung mit Chalaten und Turban oder dem Dshoma der Fraün ein farbenfrohes Bild bieten. Wir bummeln oft über den Basar und lassen uns in der Masse treiben, um dieses orientalische Milieu in uns aufzunehmen.

Endspurt nach Buchara

Nach zwei Tagen verlassen wir Samarkand und brechen zu unserer letzten Etappe nach Buchara auf. Die Fahrt geht in Richtung der Wüste Kysylkum, in der die Oasenstadt Buchara liegt. Fast mit jedem Kilometer spüren wir die zunehmende Trockenheit. Schnurgerade Landstraßen in der flachen, spärlich bewachsenen Landschaft machen das Fahren allmählich eintönig.

Da außerdem unser Zeitbudget sich dem Ende nähert, steigen wir in Kattakurgan in einen Zug, der uns in die Nähe Bucharas bringt. Wir fahren "Obschtschi Wagon - freie Klasse". Für uns wird das bloße Einsteigen zum Abenteuer, da wir mit den hiesigen Gewohnheiten nicht vertraut sind. Wie wir später dann mitbekommen, ist bereits beim Einsteigen dem Waggonschaffner das Billet vorzeigen. Außerdem muß in einem bestimmten Waggon eingestiegen werden, dessen Nummer auf der Fahrkarte vermerkt ist. Von all dem nichts ahnend, werden wir von Waggon zu Waggon geschickt, ohne in den Zug hineingehen zu dürfen. Der Aufenthalt des Zuges geht seinem Ende entgegen. Wir stehen samt unseres reichlichen Gepäckes immer noch draußen, bis wir dann endlich doch eingelassen werden. Die Hälfte unserer Gruppe, das halbe Gepäck und zwei Fahrräder sind schon verladen, als sich der Zug ungeachtet dessen in Bewegung setzt. Übernatürlich lautes Schreien von uns veranlaßt dann jemanden, die Notbremse zu ziehen. Etwas zitternd, aber doch vollständig stehen wir kurz darauf im Gang, verstauen Fahrräder und Gepäck und sind froh, daß noch mal alles gut gegangen ist.

Erlebnis Wüste

Einige Kilometer vor Buchara steigen wir aus. Einmal die Wüste hautnah zu erleben, ist das Ziel unseres Abstechers. Gut mit Wasser versorgt, rollen wir von einem starkem Wind geschoben mit 30er Schnitt durch die Einöde. Die schnurgerade, sehr breite Asphaltstraße führt sehr schnell aus noch bebautem Raum heraus. Noch kreuzen zwei Bewässerungsgräben unseren Weg, an derem Rand sich eine Strauchvegetation ausgebildet hat. Dann dehnt sich vor uns die Wüste, so weit das Auge reicht. Kein Baum, kein Strauch, überall ockerfarbener Sandboden, auf dem sich hier und da eingetrocknete, strauchartige mit Dornen versehene Pflanzen im Boden festkrallen. Darüber hinaus kennzeichnen nur noch Steine und einige Echsenarten sowie Insekten, die unter diesen extremen Bedingungen zu überleben vermögen, die Landschaft um uns herum. Den für unsere Vorstellungen so typischen Wüstensand finden wir nur selten, wie zum Beisiel in einem Wadi, aus dem er uns in seinem durch den Wind entstandenen Waschbrettmuster im Rot der Abendsonne entgegenleuchtet. Übernachten im Zelt in der Wüste, diese Art von Romantik wollen wir uns nicht entgehen lassen und versuchen, für die Heringe Halt im weichen Sandboden zu finden.

Am nächsten Morgen treten wir die Fahrt zu unserer letzten Station, der Oasenstadt Buchara an.

Endspurt nach Buchara

Auf einem breitem Asphaltband rollen wir der in den Jahren 1917 bis 1920 heiß umkämpften Metropole des Khanates Buchara entgegen, in dem erst im Jahre 1920 die Sowjetmacht errichtet werden konnte. Der Charakter dieser Stadt unterscheidet sich wesentlich von dem Samarkands. Prunkbauten, wie sie der Timuridische Stil hervorgebracht hat, sind hier weniger anzutreffen. dafür ist das gesamte Zentrum der Stadt mit Gebäuden im islamischen Stil bebaut. Viele verwinkelte und enge Gassen versperren die Sicht, so daß man lange suchen muß, wenn man bestimmte Sehenswürdigkeiten finden will. Nur das fast 50 Meter hohe Kaljan-Minarett überragt das ganze Zentrum und dient uns so als willkommene Orientierungshilfe. Mit diesem Minarett und dem Mausoleum des Ismail Samanid sind auch die berühmtesten Bauwerke genannt, die nicht der Zerstörung durch die Mongolen zum Opfer fielen. Der bei diesen Gebäuden angewandte Baustil, bei dem der Fassadenschmuck fast ohne farbige Kacheln auskommt und nur durch reliefartige Ornamente aus Lehmziegel gestaltet ist, trifft man in Buchara häufig an.

Mit Buchara haben wir auch den heißesten Ort unserer Reise erreicht. Während außerhalb der Stadt ein Sandsturm tobt, lassen die heißen Winde, die aus der Kysylkum herangetragen werden, die Quecksilbersäule auf 42 Grad im Schatten ansteigen.

Wieder in die Heimat

Wohl verstaut liegen unsere Drahtesel im Gepäckraum der Interflugmaschine, die bald die Wolkendecke durchstoßen und wieder auf heimatlichen Boden landen wird. Die letzten Kilometer unserer Tour hatten wir in Moskau zurückgelegt, nachdem uns eine TU 154 von Samarkand aus nach Wnugowo, einem Flughafen der sowjetischen Hauptstadt gebracht hatte. In Dresden empfängt uns Regen und Kälte. Beides wirkt wie ein Schock nach den mittelasiatischen Witterungsbedingungen auf uns.

Härtetest bestanden

Innerhalb von drei Wochen legten wir 1214 Kilometer zurück, wobei unsere Räder trotz übernormaler Belastung durch ein Gepäck von ca. 25 kg und schwieriger Straßenbedingungen stets zuverlässig ihren Dienst taten. So konnten wir zum Glück die meisten Ersatzteile ungenutzt wieder mit nach Hause nehmen. Neben zwei Platten mußten lediglich ein 5-Gang-Zahnkranz repariert und 4 gebrochene Speichen gewechselt werden.

Für all unsere Anstrengungen und Entbehrungen wurden wir durch das Erleben von landschaftlichen Schönheiten mit krassen Gegensätzen der Natur sowie dem Kennenlernen von Sitten und Bräuchen fremder Völker mehr als reichlich belohnt. Diese Eindrücke und vor allem die Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft der Tadshiken und Usbeken ließen für jeden die Fahrt zu einem unvergeßlichen Erlebnis werden.

Þ Über den Pamir

Þ zurück zur Start- Homepage

Þ zurück zur Fahrrad- Page